Die verkannte Not der psychisch Kranken
Die Empörung ist enorm: Mehr als 200 000 Menschen haben sich in den vergangenen Wochen gegen ein Vorhaben des Gesundheitsministeriums ausgesprochen – oder besser gesagt, gegen einen kurzen Passus darin. Es könnte die größte Petition sein, die je beim Bundestag eingereicht wurde.
Warum der Aufschrei? Eigentlich hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit seinem geplanten Terminservice- und Versorgungsgesetz Gutes im Sinn: Patienten sollen nicht mehr monatelang auf einen Arzttermin warten müssen, sie sollen besser versorgt werden. Auch psychisch kranke Menschen. Sie sollen, wenn es nach Spahn geht, künftig zuerst ein Vorgespräch führen – mit einem Arzt, den sie nicht kennen, den sie nicht selbst aussuchen und den sie vermutlich nie wieder sehen. Dieser Arzt soll dann entscheiden, wann und wo sie eine Therapie bekommen. Es wäre eine Art Vorsortierung: Wer ist kränker? Wer kann warten? (…)
Mehr Kassenzulassungen werden gebraucht
Zwar kann von einer allgemeinen Akzeptanz psychischer Erkrankungen nicht die Rede sein, solange Lehramtsanwärter keine Therapeuten aufsuchen, weil sie um ihre Verbeamtung fürchten, und solange Menschen ihre Depression vor Kollegen oder sogar vor der Familie geheim halten; dennoch hat sich in den vergangenen Jahren vieles zum Positiven verändert. Psychische Krankheiten werden ernst genommen und häufiger angesprochen, auch dank prominenter Vorbilder, die wie der Fußballer Sebastian Deisler oder die US-Sängerin Lady Gaga ihre Depressionen öffentlich machen. Die neue Sensibilität, die neue Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen, wirkt sich aber auch auf die Knappheit der Therapieplätze aus.
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