Systemische Therapie – mittels Fragerei durch die Augen der anderen sehen

Von Nele Breyer, 18 J., Praktikantin in einer Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

Vom Sündenbock zum Symptomträger – vom Symptomträger zum Symptom der Familie:

Wie das übergreifende Zusammenspiel der Kräfte in einer Familie Symptome entstehen lässt und wie die systemische Therapie sie zu bewältigen versucht

Wenn du dich bereits auf dieser Seite umgesehen hast, ist dir bestimmt schon aufgefallen, dass Psychotherapie nicht gleich Psychotherapie ist. Es gibt viele verschiedene Therapieformen, von denen jede einen anderen Ansatz und eine eigene Vorgehensweise hat. Neben den ‚altbewährten‘ Therapieformen wie der Analytischen oder der Verhaltenstherapie hat sich eine weitere zunehmend durchgesetzt: Die Systemische Therapie.

Aber was ist eine Systemische Therapie eigentlich? Worin unterscheidet sie sich von den anderen Therapieformen? Und wie erreicht sie trotz – oder wegen – ihrer Andersartigkeit ihre Ziele?

Systemische Therapie ist ein Querdenker, ein kleiner Revolutionär, der die Welt der Psychotherapie seit seinen Anfängen in den frühen 1980er Jahren ordentlich aufgemischt hat. Aus Sicht der systemischen Therapie steht der Mensch nicht allein da, sondern ist Teil eines Systems. Jeder Mensch lebt unweigerlich – es sei denn er ist sozial vollkommen isoliert – in verschiedenen Systemen, der Familie, der Klasse, dem Fußballverein und der Gemeinde. Ein System kann sehr klein, aber auch bedeutend größer sein. So ist deine Familie, die vielleicht aus nur drei Menschen besteht, genauso ein System wie deine dreißigköpfige Schulklasse.

Der systemischen Therapie sind die Beziehungen innerhalb dieses Systems wichtig. Anders als bei den übrigen Therapieformen werden das Problem und seine Lösung nicht nur bei dem Kind oder Jugendlichen gesucht, bei welcher die Störung zum Ausdruck kommt. Denn die systemische Therapie geht davon aus, dass eine Erkrankung oder Störung durch die Interaktion innerhalb des Systems entsteht oder sich verschlimmert. Das bedeutet also, das Problem eines Patienten, der als Symptomträger bezeichnet wird, ist zeitgleich auch das Problem des Systems. Der Vater reagiert beispielsweise gereizt auf die anhaltende gestresst wirkende Mutter. Diese sieht wiederum ihren Mann als Verursacher ihrer Überforderung. Das Kind beobachtet dies, fürchtet um die Beziehung der Eltern und ist traurig. Die Mutter sieht das traurige Gesicht ihres Sohnes und denkt dieser ist krank, während der Vater meint, dass er bockig sei.

Aber wie wirkt systemische Therapie? Geht man also davon aus, dass die Störung nicht nur in der Person, sondern in dem System, seinen Beziehungen und Interaktionen liegt, so ist es das Ziel der Therapie, dieses Zusammenspiel innerhalb der Familie, Gruppe usw. aufzudecken und gemeinsam mit der systemisch arbeitenden Therapeutin oder dem systemisch arbeitenden Therapeuten zu verstehen. Damit diese Verhaltensmuster aber geändert werden können, muss zunächst einmal herausgefunden werden, welche der vielen Muster, im- und expliziten Regeln und Interaktionen innerhalb des Systems überhaupt „Schuld“ an dem Problem sind. Das ist nicht ganz einfach, da ein Großteil dieser Verhaltensmuster unbewusst ausgeführt wird. Jeder kennt schließlich die festgefahrenen Rituale, Traditionen und Hierarchien in der Familie, an denen nicht so leicht zu rütteln ist.

Um herauszufinden, welche Verhaltensmuster problembereitend sind, setzen Therapeuten bei der systemischen Therapie unendlich viele Fragen ein, die darauf abzielen, dass Systemmitglieder die Verhaltensweisen und Beziehungen untereinander kommentieren und sich so deutlich vor Augen führen, was im Alltag selbstverständlich und unbewusst geschieht. Die Fachleute sagen dazu „zirkuläres Fragen“. Beispielsweise könnte danach gefragt werden, was ein Vater denkt, wie sich seine anderen Kindern fühlen, wenn sich die Eltern zum wiederholten Mal mit dem ältesten Kind über sein in ihren Augen ungesundes Essverhalten streiten. Somit werden die Familienmitglieder dazu gebracht, die Situation, die Beziehung und den Streit aus den Augen der anderen zu sehen. Man wird sich so auch darüber bewusst, wie man selber auf die anderen wirkt.

Ist mittels der ganzen Fragerei deutlich geworden, worin das problematische Verhalten (die Psychos sagen Störung) im Familiensystem besteht, geht es darum, nach alternativen Lösungen zu suchen. Dass viele Kinder- und Jugendlichentherapeuten systemische Therapie verwenden, liegt also auf der Hand.

 

 

 

14.08.2017

Und hier ein Artikel aus der Zeitung:

Wie unterscheidet sich die Systemische Psychotherapie von einer „gewöhnlichen“ Psychotherapie?

 

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